Prof. Dr. phil. habil. Horst Langer | ||
V. ADDENDA
Vorbemerkung zu Hans-Jürgen Schumacher: ... die Lieb' ist mein Beginn. Sibylla Schwarz - Eine Dichterin in Pommern. Romanbiographie. Mesekenhagen 2007. Im Spätsommer 1634 wird Sibylla Schwarz eingeladen,
bei einer Festlichkeit zu Ehren des Greifswalder Ratsherrn Johann Glewig
aus ihren Gedichten zu lesen. In der Stadt hatte sich herumgesprochen,
dass die Tochter des Bürgermeisters, sie ist gerade dreizehn, in
ihren "Nebenstunden" Poesie verfasste - mehr als ungewöhnlich
in einer Zeit, deren männlich dominierte Gesellschaft sich einig
war in dem Urteil: Lieber ein bärtiges als ein gelehrtes Frauenzimmer!
Noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts sah sich der Dichter und Poetiklehrer
Daniel Georg Morhof aus Wismar zu der Feststellung veranlasst: "Es
ist gar ein unbilliges Urteil des vornehmen arabischen Poeten Pharezdaki,
welcher gesagt, wenn die Henne wie der Hahn singet / muss man ihr den
Hals abschneiden." Dass Sibylla dennoch die Einladung in das Haus
des Ratsherrn erreichte, war zwei Gründen geschuldet: Zum einen verlieh
die Anwesenheit der Dichterin aus patrizischer Familie dem Fest zusätzlichen
Glanz, zum anderen konnte die Lesung den Gästen willkommene Gaudi
bringen. So wie in Hans-Jürgen Schumachers Romanbiographie vor Augen geführt,
kann es gewesen sein. Wiederholt finden sich in Sibyllas Texten Anhaltspunkte
für eine entsprechende Lesart. Freilich ist damit nur eine, wenn
auch eine gewichtige Schwierigkeit ihrer Schreib- und Lebenssituation
bezeichnet. Eine weitere Hürde ergab sich für die jugendliche
Autodidaktin aus dem komplizierten Literaturverständnis ihrer Gegenwart. Sibylla mag zehn, elf Jahre gewesen sein, als sie Opitz'
wegweisendes Buch von der Deutschen Poeterey erstmals in Händen
hielt. In ihm werden Wesen und Eigenschaften der Poesie "gründlich
erzählet und mit Exempeln ausgeführet". Aus ihren Notizen
wissen wir, dass die Greifswalderin den Band wie im Rausch verschlungen
und sogleich versucht hat, eigene Gedanken über Gott und die Welt
in die Gestalt der vorgeschriebenen Formen zu bringen - etwa in die des
hoch gepriesenen Alexandriners, den Opitz so charakterisierte: "Der
weibliche Vers hat dreizehn, der männliche zwölf Silben [...]
Es muss aber allezeit die sechste Silbe eine Zäsur oder (einen) Abschnitt
haben, das ist: entweder ein einsilbig Wort sein oder den Akzent in der
letzten Silbe haben." Keine leichte Aufgabe für eine Zehn-,
Elfjährige, die sie wieder und wieder bravourös meisterte. Ungeachtet ihres leidvollen Erlebens finden sich in Sibyllas Texten nicht nur Klagelieder und Trauergesänge, sondern ebenso ausgelassen-heitere, ja verwegene Gelegenheitsgedichte. Ein Band mit ihren Arbeiten erschien erst zwölf Jahre nach dem Tod der Dichterin - 1650 im fernen Danzig In Schumachers Buch klopft Martin Opitz kurze Zeit, nachdem die knapp
Siebzehnjährige gestorben war, ahnungslos an die Tür des Schwarz'schen
Hauses und wünscht die junge Poetin zu sprechen. Eine Erfindung des
Autors, in Wirklichkeit ist es nicht dazu gekommen. Aus mindestens zwei
Gründen ein legitimes literarisches Verfahren: Zum einen gilt nach
wie vor Opitz' Feststellung, dass "die ganze Poeterey [...] die Dinge
nicht so sehr beschreibe, wie sie sein, als wie sie etwan sein könnten
oder sollten." Zum anderen hatte der Schlesier in der Tat geplant,
Sibylla während einer seiner Reisen nach Westeuropa in Greifswald
zu besuchen. Jahrzehnte später erinnerte Daniel Georg Morhof, Verfasser
der ersten kritischen Literaturgeschichte in Deutschland, in ehrendem
Gedenken an die unvergessene Dichterin: "Sibylla Schwarz [...] war
ein Wunder ihrer Zeit/ denn sie hat von dem dreizehnten Jahre ihres Alters
[...] Verse geschrieben/ die vor solche zarte Jugend [...] unvergleichlich
sind." Greifswald, August 2007 (Gekürzte Fassung bei der Buchpremiere am 31. August im Greifswalder
Dom vorgetragen.) |
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