Prof. Dr. phil. habil. Horst Langer

IV. Aus den literarischen Texten

2. GROBIANUS (1551)


Das Buch zum Leser

Es ist althergebrachte Sitt,
Was man gebietet, hält man nit.
Desgleichen, was man streng versagt,
Wie bös es sei, es wird gewagt.
Und wärn der Bücher noch so viel,
Man tut allzeit das Widerspiel.
Will niemand so die Tugend ehren,
So will ich's gegenteilig kehren
Und glatt den andern Weg beschreiben,
Wie man soll grobe Sitten treiben:
Knöllisch sein, unflätig, grob
Dass ich einmal die Laster lob:
Will Zucht und Scham und Tugend schelten
Und sehen, welches mehr will gelten.
Habt allzeit ihr nun untergraben
Was weise Leut geboten haben,
So tut auch nicht, was ich bedeute,
So werdet ihr erst rechte Leute.
Dies ist die neue Melodei:
Lies fröhlich und bedenk dabei,
Was dir zu tun, zu lassen sei!

DAS FÜNFTE KAPITEL
Von Schlafen, Spazieren gehen, Jungfrauen-Dienst,
Reverenz und anderer Holdseligkeit

Wenn endlich du nun kropfvoll bist,
Sei ohne Sorg und faul wie Mist.
Lass dich nicht deines Orts vertreiben,
Fein auf dem Tisch sollst liegen bleiben.
So kann man ja den Tisch nicht decken
Und muss zum Essen dich dann wecken.
Auch streck dich auf die Bank zur Rast,
Auf der du erst gesessen hast,
Dein Mahl verzehr mit frohem Mut,
Darauf zu schlafen tut dir gut:
Da ruh dann sanft und lieg fein still,
Bis dass das Nachtmahl kommen will.
Im Schlaf lass Fürze fein nur stieben,
So wird das ganze Haus dich lieben.
Wollt jemand dich jedoch drum strafen,
Dass du gemacht Rumor beim Schlafen,
So sprich: Es will mir ja nicht glücken,
Die Fürze strikt zu unterdrücken.
Drum fahren lass, was nicht will bleiben,
Den Unflat musst du von dir treiben.
Und lass noch weitere im Nu,
Dass er die Nase sich halt zu.
Dient der Gestank dem Herrn doch eben;
Er braucht kein Geld für Kerzen geben.

Auch rat ich deiner Grobität,
Wenn vor dem Haus 'ne Jungfrau steht,
Du kennst sie, oder aber nit,
Tritt zu ihr ganz nach grober Sitt.
Magst, wenn du willst, ihr zeigen gar
Dein ungepflegt und strähnig Haar,
Wie's länglich, feist und speckig sei,
Das steht dem ersten Anblick frei.
Schäm dich nur nicht und sei nicht sacht,
Fortuna lacht dir ohne Pracht.
Denn Zagen bringt kein schönes Weib,
Drum wag den stolzen jungen Leib,
Biet deinen Dienst und brauch dich sehr,
So kommst du schnell zu Gut und Ehr.
Sag Zoten und auch harte Grumpen,
So wirf's hinaus in harten Klumpen.
Und lass die Sauglock tapfer klingen
(Man hat jetzt Spaß an diesen Dingen,
Auch sind die Töchter so geworden
Und gern im Grobianer-Orden,
Sie haben selber Lust dazu,
Dass man sie grob anreden tu.)
Willst Jungfraun du heut imponieren,
So lass nur schnell das Disputieren.
Nimm sie stattdessen in den Arm,
Damit ihr Herz sich schnell erbarm:
Und gib ihr dann der Liebe Kuss;
Wehrt sie sich und zeigt Überdruss,
So zieh sie mit Gewalt an dich.
Umfang sie, doch nicht züchtiglich.
Küss ihre Backen stark und feucht,
Bis dass ihr Widerstand entfleucht.


Aus dem Vorwort des Bandes:

Silentium, sperrt nun Maul und Augen auf!

Allzu zart besaiteten Gemütern sei vor der Lektüre des Buches ein warnendes Wort auf den Weg gegeben. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden, findet sich in ihm die säuische Rotte der zeitgenössischen Prasser, Trunkenbolde und Schürzenjäger in derben Konturen abgebildet. Vorangegangene Versuche, die Grobianer mit Hilfe strenger Lehr- und Unterweisungsschriften von ihrem ruchlosen Treiben abbringen zu wollen, waren durchweg erfolglos geblieben, wie der einleitenden Widmung des Buches an den Leser zu entnehmen ist.
Wirkungsvollen literarischen Ausdruck hatte das titelstiftende Phänomen bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts gefunden, im Narrenschiff des Straßburger Frühhumanisten Sebastian Brant. In ihm hatte der gelehrte Doktor beider Rechte (des kanonischen wie des weltlichen) im 72. Kapitel zu Protokoll gegeben:

Ein neuer Heil'ger heißt Grobian,
Dem will jetzt folgen jedermann
Und ehren ihn an allem Ort
Mit wüstem Werk und derbem Wort.

Das Wort "Grobian" in der hier gebrauchten Bedeutung gab es bereits vor Brant, und zwar als Entsprechung für rusticus (lat. unbeholfen, grob tölpisch; der Verfasser unserer Satire, Friedrich Dedekind, setzte an die Stelle von "grobianus" in seiner ursprünglich lateinischen Schrift durchgängig "rusticus" oder "simplex" = schlicht, einfältig). Doch erst seit Brant hat der Begriff die für lange Zeit gültige Bedeutung eines Unfläters vor allem bei Tisch erhalten. In seiner Nachfolge kam es zu zahlreichen analogen Bildungen wie Sankt Reblinus (Weinpatron), Sankt Schweinhardus, Sankt Nimmerlein und so fort - diese haben jedoch längst nicht die überdauernde Wirkung erreicht wie die Brantsche Bildung, unter deren begrifflichem "Dach" sich die Summe der Laster und Gebrechen in schöner Eintracht versammelt findet. Ohne Frage markiert Dedekinds Satire über die Zeiten hinweg den thematischen Höhepunkt in der Geschichte der deutschen Literatur. So resümiert der Dichter im Beschluss des Buches mit berechtigtem Selbstbewusstsein:

Wohlan, es ist nun vorgestellt
Gewalt und Grobheit dieser Welt.

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